Körpernah und dicht am Menschen

Zum Abschluss der Bekanntmachung „Interaktive körpernahe Medizintechnik (IKM)“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) kamen am 30. Juni 2020 etwa 60 Forschende im virtuellen Raum zusammen, um die Ergebnisse ihrer Projektarbeit zu präsentieren. Bei dem gemeinsamen Treffen ging es auch um die Frage, wie innovative Medizintechnik schneller in der Regelversorgung ankommen kann.

Man sieht eine Person mit einer EEG-Haube und einem verkabelten Arm vor einem großen Bildschirm sitzen, auf dem eine computergenerierte  Landschaft angezeigt wird. Die Wände des Raumes zeigen einen Himmel mit Wolken.
Die Forschenden der Bekanntmachung "Interaktive körpernahe Medizintechnik" (IKM) entwickelten technische Systeme, die unmittelbar oder nah am Körper getragen werden. Im Beispiel: das Projekt AMoRSA.© Promotion Software GmbH

Die Abschlussveranstaltung war ursprünglich als Präsenzveranstaltung geplant und hätte in Anbindung an den Kongress MedTech Summit in Nürnberg stattfinden sollen. Vor dem Hintergrund der Covid-19-Restriktionen wurde sie jedoch als rein digitale Veranstaltung neu konzipiert. Das virtuelle Treffen bestand aus zwei Sessions mit Projektvorstellungen, einem Gastbeitrag zum deutschen Erstattungssystem sowie einer kurzen abschließenden Diskussionsrunde.

Innerhalb der Förderbekanntmachung entwickelten die insgesamt 12 Projektgruppen innovative technische Systeme, die unmittelbar oder nah am Körper getragen werden und dabei durch eine direkte Interaktion mit den Nutzenden die medizinisch-diagnostische, -therapeutische, -nachsorgende oder -rehabilitative Anwendung verbessern und einen essentiellen Beitrag zur Gesundheit von Patientinnen und Patienten leisten. Das Fördervolumen der Bekanntmachung belief sich auf etwa 18 Mio. Euro.

Therapeutische und rehabilitative Anwendungen

In der ersten Session mit dem Titel „Diagnose und Intervention“ präsentierten vor allem solche Forschungsgruppen ihre Ergebnisse, die sich in ihrer Projektarbeit auf therapeutische und rehabilitative Anwendungsbereiche konzentriert hatten. Das Projekt OSLO entwickelte beispielsweise ein computergestütztes Therapiesystem zur Behandlung von Schluck- und Sprechstörungen nach einem Schlaganfall. Bei dem Demonstrator handelt es sich um einen flexiblen Sensorträger mit Abstandssensoren, der von den Betroffenen selbst am Gaumen angebracht wird und dort Zungenbewegungen erfasst. Die Messdaten werden in Echtzeit über einen kabellosen Transmitter an einen Computer geleitet. Auf diese Weise können die Patientinnen und Patienten mit ihrer Zunge einfache Therapiespiele steuern und erlangen somit spielerisch die Kontrolle über ihre Zunge zurück.

Ein Mann sitzt vor einem Bildschirm, auf dem ein computergeneriertes Aquarium angezeigt wird. Er hat einen Sensor im Mund. Um ihn herum stehen bzw. sitzen drei Personen, die mit dem Mann interagieren.
Die Forschenden des Projekts OSLO testen das computergestützte Therapiesystem zur Behandlung von Schluck- und Sprechstörungen bei Schlaganfallpatientinnen und –Patienten.© Copyright 2020 Linguwerk GmbH

Auch das Projekt AMoRSA befasste sich mit der Therapie von Menschen, die einen Schlaganfall erlitten hatten. Hier stand besonders die Rehabilitation von chronischen Armlähmungen im Fokus, die zu den häufigsten Folgen eines Schlaganfalls zählen. Die Projektgruppe entwickelte eine adaptive und motivierende Rehabilitationsplattform, die aus Elektroenzephalografie-Sensoren (EEG), einem Exoskelett und einem innovativen Videospiel besteht. Das System befähigt Patientinnen und Patienten, über die vom EEG erfassten Gehirnsignale ihren im Exoskelett fixierten Arm zu bewegen und damit ein interaktives Spiel zu steuern. Durch die kontinuierliche Anwendung wird dabei die natürliche Bewegungsfähigkeit des Arms trainiert, so dass Betroffene meist nach wenigen Wochen wieder einzelne Finger bewegen können.

Lesen Sie hierzu auch das Interview mit Stefan Hoffmann und Dr. Ander Ramos-Murguialday aus dem Projekt AMoRSA.

Technologien zur Begleitung psychotherapeutischer Behandlungen

Die zweite Session trug den Titel „Wahrnehmung und Verhalten“. Hier ging es vor allem um Technologien, die eine psychotherapeutische Behandlung begleiten und unterstützen sollen. Das Projekt MITASSIST stellte einen Therapieassistenten vor, der eine wichtige Lücke in der Behandlung von psychischen Erkrankungen schließt: Er hält Patientinnen und Patienten außerhalb der stationären oder ambulanten Behandlungszeiträume davon ab, sich in ihre oftmals depressiven Gedanken zu vertiefen. Der Assistent wird als kleine Manschette am Körper getragen und erkennt zuvor definierte pathologische Zustände, in denen die Betroffenen ins Grübeln geraten. Wird ein solcher Zustand erkannt, gibt das System zunächst sensorische Reize ab und lädt über eine mit der Manschette gekoppelte Smartphone-App zu spielerischen Aufgaben ein.

Ein Mann mit einer Manschette an einem Arm sitzt an einem Tisch und bedient mit der anderen Hand ein Smartphone.
Der im Projekt MITASSIST entwickelte Therapieassistent zur Behandlung von psychischen Erkrankungen.© digital worx GmbH

Das Projekt AwareMe unterstützt hingegen das Selbstmanagement von Menschen, die an der Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden. Die Forschenden entwickelten eine Smartphone-App, die drei zentrale Aufgaben übernimmt: Zum einen erfasst sie mithilfe der Smartphone-Sensorik motorische Unruhe-Zustände und erfragt zusätzlich subjektive Daten wie Schlaf- oder Stimmungswerte, zum anderen vermittelt sie über ein digitales Nachschlagewerk und einen interaktiven Chatbot Strategien für den Umgang mit ADHS-Symptomen. Außerdem wertet die App die gesammelten Daten aus und visualisiert sie, um das medizinische Fachpersonal in der Therapie zu unterstützen.

Der Weg in die Regelversorgung

In seinem Gastbeitrag lud Andreas Bätzel vom Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (ZVEI) die Teilnehmenden zu einem Exkurs in das deutsche Erstattungssystem ein. Er erläuterte darin die Bedingungen, die der Gesetzgeber an die Erstattung medizinischer Leistungen knüpft. Demnach seien grundsätzlich alle neuen Methoden zunächst einer Methodenbewertung zu unterziehen, um deren tatsächlichen Nutzen für Patientinnen und Patienten nachzuweisen. Dieser Nachweis erfordere oftmals aufwendige Erprobungsstudien, an deren Kosten sich die Hersteller oder Entwickler in der Vergangenheit beteiligen mussten. Inzwischen existierten jedoch für Medizinprodukte, die in niedrigen Risikoklassen eingestuft werden, unkompliziertere Bewertungsverfahren. In diesem Zusammenhang nannte er die sogenannten „Digitalen Gesundheitsanwendungen“ (DiGA), welche beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eingereicht werden können und die im Falle einer positiven Bewertung Aussicht auf ein beschleunigtes Verfahren hätten. Eine der Voraussetzungen für die Einstufung eines Medizinprodukts als DiGA sei jedoch, dass dessen Hauptfunktion im Wesentlichen auf digitalen Technologien beruht. Daher empfahl Herr Bätzel den anwesenden Projekten zu prüfen, ob die jeweils entwickelten Technologien die nötigen Kriterien zur Einstufung als DiGA erfüllen.

Obwohl die Abschlussveranstaltung das offizielle Ende der Bekanntmachung "Interaktive körpernahe Medizintechnik" (IKM) markierte, erhielten die Projekte die Chance, eine kostenneutrale Verlängerung der Laufzeit in Anspruch zu nehmen. Viele der zwölf Projekte hatten wegen der Covid-19-bedingten Einschränkungen ihre klinischen Tests unterbrechen müssen und können diese nun bis zum Jahresende abschließen.

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Bekanntmachung Interaktive Körpernahe Medizintechnik

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